Geschichte | von Gabi Hultsch (1997)

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Piste und Geschichte
Das Rennen — Kommentare der Rennleitung

Als wir daran gingen, den ersten Spacekidheadcup zu organisieren (am 12. April 1991, zu Ehren Juri Gagarins, der am 12. April 1961 als erster Mensch ins Weltall flog), müssen wir schon ziemlich süchtig danach gewesen sein. Wir nannten uns »Büro für experimentelles Verhalten«, wir wollten alles mögliche ausprobieren, wir wollten Spacekidheadcups dreimal jährlich veranstalten, im Frühjahr zu Land, im Sommer zu Wasser, im Herbst in der Luft! Aber es blieb letztendlich bei einmal im Jahr Seifenkistenrennen, denn sonst würden wir ja nichts anderes mehr tun, und dann funktioniert das mit dem »trotzdem — obwohl« nicht mehr.

Ich denke, dass jeder, der einmal mitgemacht hat, weiss, was gemeint ist: wenn man es geschafft hat, sich eine Seifenkiste zu bauen, obwohl man eigentlich überhaupt keine Zeit dafür hat, und dann damit die Leibnizallee herunterzusausen, obwohl man grosse Angst hat — das ist reines, prickelndes Glück, und davon so viel, dass es einem in der Nase kitzelt, und das gibt Kraft für das ganze weitere Jahr! Und überall in Weimar — in Gärten, in Höfen, auf Schuppendächern — kann man schlafende Seifenkisten sehen; ihr Anblick wärmt uns das Herz an kalten Tagen.

Schon zum Spacekidheadcup Nr. 2 kamen neue Tonarten hinzu — merkwürdige Wetten und Wettbewerbe nebenbei — »schneller—höher—weiter« ... Unser Motto 1992 war: »An die Maschinen!« und es fand alles statt am 1. Mai, dem »Kampf- und Feiertag der Werktätigen«, wie dann auch all die weiteren Jahre ... Jedes Jahr kann man neue Phänomene beobachten: die Rivalitäten unter den Anhängern des Schwermetalls, unterschiedlicher Gruppierungen entstehen um verschiedene Zentren, wie Garagen, Schweissgeräte — ihre Seifenkisten sind alle schwer, schnell, gefährlich, ihre Fahrer haben ölverschmierte Hände und Sonnenbrillen auf und treten ihre Zigaretten aus wie echte Männer. Eine Gegenbewegung dazu bildet sich heraus: Seifenkisten mit Namen Fatima, Schlangsam oder Fred Feuerstein, fröhlich bunte Bastler, denen nichts an dem schweren Pokal, sondern viel am Schönheitspreis liegt, die nicht die Schnellsten sein wollen, sondern im Gegenteil die Zeit auf der Piste in die Länge zu ziehen versuchen. Teile von legendären Seifenkisten werden auf Schrottplätzen wiedergefunden und in andere neue Seifenkisten eingebaut.

Schliesslich kam das Jahr, indem alles eskalierte, indem zu viele nichts verstanden hatten, nichts ahnten, zu wenig wussten: Autos wollten die Leibnizallee hinunter, da gab es Ärger mit der Polizei und wir bekamen einen Schreck: Weiss denn keiner mehr, was eine Seifenkiste ist? Weiss denn keiner, dass Seifenkisten keinesfalls Autos sind? Eine ganz neue Recyclingbewegung leitete dann die Seifenkiste »Autoreverse« ein: dieselbe vom letzten Jahr fuhr jetzt einfach andersherum hinunter!

Auch in diesem Jahr, am 1. Mai 1997, hat der mittlerweile 7. Spacekidheadcup stattgefunden. Es kamen so viele wie noch nie: mehr als 40 Seifenkisten, tausende Menschen, die jubelten und lachten aber auch zahlreiche, die im Weg standen. Und etliche, die sich nur beschwerten: weil es nicht rechtzeitig losging, und dass sie so lange auf ihr Bier oder ihre Bratwurst warten mussten. Und im Zieleinlauf sammelten sich leider beängstigend viele blutrünstige Menschen, die diejenigen Tapferen, welche gute Bremsen gebaut hatten, nur mit Buh-Rufen bedachten und nur denen Beifall klatschten, deren Seifenkisten sich gefährliche Stürze leisteten und wenn das Stroh in hohen Bögen auseinanderstob. Den vom Publikum ausgewählten Schönheitspreis gewinnt die Seifenkiste »Vision Air«, weil ein 8-köpfiges Promotion-Team sich dafür eingesetzt hat. Die Welt hat unsere Bresche, die wir in die Zeit geschlagen hatten, wieder fast zugeschüttet — mit Vorurteilen, Vorwürfen, Vorschriften ... — wenn etwas passiert, sind wir verantwortlich, wenn wir die Strasse nicht wieder ordentlich aufräumen, kriegen wir die Kaution nicht wieder, die wir bei den Stadtbürokraten hinterlegen mussten ... Uns kitzelt es nicht mehr so richtig in der Nase. Aber stolz sind wir des Erfolges wegen umso mehr, und das macht reizbar und unsachlich. Das soll uns erst mal einer nachmachen! Macht es uns nach, Spacekids! Aufruf an alle, die traurig im Alltagspflichtsumpf waten und in Motivationslöchern steckenbleiben: Zeit ist dehnbar! Die Zeit, die wir für schöne zweckfreie Sachen verwenden, schenkt uns jene Zeit zurück, die unsere Pflicht uns wegfrisst, weil sie fruchtbar ist ...

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